Paula Bosch verrät ihre Lieblingskombinationen für jeden Tag
von Raffaella Usai in Allgemeines im wein.plus-Magazin

Viele Weinfreunde öffnen gereifte Flaschen nur für besondere Anlässe. Doch ein reifer Wein kann auch mit Alltagsgerichten glänzen und sie auf ein neues Niveau heben. Top-Sommelière Paula Bosch verrät tolle Kombinationen für jeden Tag.
In vielen Weinkellern schlummern etliche gereifte Weine, die sehnsüchtig auf ihren großen Tag warten. Manche Weinfreunde bewahren sie wie kostbare Schätze auf und warten Jahrzehnte auf den angemessenen Moment. Andere wissen vielleicht nur nicht, wie sie gereifte Weine mit ihrer Alltagsküche kombinieren sollen.
Doch so schwer ist das gar nicht, sagt Deutschlands bekannteste Sommelière Paula Bosch: „Grundsätzlich finde ich die Speisenkombinationen mit gereiften Weinen wesentlich einfacher und unkomplizierter als mit jungen, in der Regel unreifen oder unentwickelten Gewächsen. Das bestätigen meinen jahrelangen Erfahrungen.“
Die primärfruchtigen Aromen seien meist sehr einnehmend und prominent, während reifere Weine oft mit leisen Tönen spielen würden, sagt Paula Bosch. „Junge Weine sind wie Babys, sie sind laut, schreien und ziehen damit alle Aufmerksamkeit auf sich. Mit der Zeit entwickeln Weine – wie Menschen – komplexere Facetten, die oft sanfter sind als bei jungen Weinen. Reifenoten fügen sich hervorragend in viele Gerichte ein.“
Wann gilt ein Wein als gereift?
Allein die Frage, ab wann ein Wein überhaupt als reif zu betrachten ist, sei schon ein Problem. „Ich bin mir sicher, dass sich hier schon die Geister scheiden. In meiner ersten Zeit im Restaurant ‘Tantris’ durfte weder ein blutjunger Bordeaux noch ein Burgunder, ebenso wenig ein zwei- oder dreijähriger deutscher riesling auf der Weinkarte stehen. Inhaber Fritz Eichbauer war es ein Herzensanliegen, seine geliebten Weine in bestem Zustand zu servieren. Ich habe diese Einstellung weiterverfolgt“, erklärt Paula Bosch.
Wann ein Wein aber trinkreif ist, sei immer eine persönliche Einschätzung. „Heute hat sich der Geschmack der Weinkenner deutlich in Richtung Frische und Jugend entwickelt. Das ist ein Riesenvorteil, weil in sehr vielen Restaurants das Kapital und der Platz fehlt“, weiß Bosch.
Der Nachteil: In der Gastronomie und auch zuhause werden die Weine generell viel zu jung getrunken. „Das ist ungefähr so, als würde man ein Steak gleich nach dem Schlachten des Tieres ohne Reifezeit servieren. Darauf kauen Sie genauso herum wie auf den Tanninen eines unreifen Barolo, Bordeaux oder Brunello.“
Mut im Alltag
Andererseits ermutigt Paula Bosch Weinfreunde, ihre gereiften Weine nicht zu lange liegen zu lassen. „Man weiß nie, wann ein Wein seinen Zenit überschritten hat. Jeder Wein sollte zu seinem idealen Zeitpunkt genossen werden.“ Es brauche keinen besonderen Anlass, um einen Spitzenwein aus dem Keller zu holen. „Wenn ich Lust habe auf einen gereiften Château Latour, dann mache ich den Kühlschrank auf und schaue, was dazu passen könnte“, sagt Bosch. Und sollte derWein tatsächlich mal nicht mit dem Gericht harmonieren, lasse ich ihn stehen und genieße ihn nach dem Essen.“
Paula Boschs Empfehlungen für jeden Tag
2009 Granato Vigneti delle Dolomiti IGT Rosso, Elisabetta Foradori, Italien
„Elisabetta Foradori zeigt mit dem charismatischen 2009er Granato, dass man aus der rustikalen Rebsorte Teroldego einen großen Rotwein erzeugen kann. Mit längerer Reife entdecke ich Holundersaft, Gewürznelke, Wacholder und schwarzen Pfeffer, was mich plötzlich an eine entfernte Verwandtschaft mit dem Syrah des Rhône-Tals denken lässt. Mit seinen weichen und samtigenTanninen passt dieser Wein hervorragend zu Schmorgerichten wie Gulasch, Wildragout, Lammcurry oder Rinderrouladen.“
2010 Batuta „Tinto”, Niepoort (Vinhos) S.A., Duoro, Portugal
„Der 2010er Batuta ‚Tinto‘ hat ein sehr breitgefächertes, entwickeltes Bouquet und duftet nach getrockneten Kräutern, Pflaumen, Tomaten, roter Bete und getrockneten Feigen. Auch reife dunkle Früchte wie Blaubeeren und Heidelbeeren schwingen mit. Gewürznoten vom schwarzen Pfeffer, Muskatnuss, aber auch Vanille und Tabak sind im Spiel. Mit seinem noch immer jugendlichen Tannin und seiner Substanz begleitet dieser Wein auf wunderbare Weise gehaltvolle, rustikale Grillgerichte wie Würstchen oder Steak mit Kartoffeln. Oder Paprikagemüse.“
1995 Riesling Vinothek Nikolaihof, Wachau, Österreich
„Dieser Riesling vom Nikolaihof hat eine brillant brillant aufgebaute Aromatik. Zu Beginn zeigt er gereifte fruchtige Anklänge von kandiertem Apfel, reife Honigmelone und Steinobst. Dazu gesellen sich frische Gartenkräuter wie Kerbel, Schnittlauch, Vermouth-Kraut, Morcheln und tertiäre Noten. Man denkt sofort an Frühling. Und damit an ein Risotto mit Erbsen und frischen Pilzen. Auch eine Fleisch- oder Fischsülze mit Kräuterquark kann ich mir dazu gut vorstellen, genauso wie Spargel mit gehacktem Ei, Petersilie und Olivenöl.
2009 Spätburgunder, Martin Waßmer, Baden
„Auch in Deutschland hat sich längst rumgesprochen, dass zu bestimmten Fischgerichten manche Rotweine mindestens so gut passen wie Weißwein. Allerdings muss man auf das Tannin aufpassen, denn das harmoniert überhaupt nicht mit Fischeiweiß. Sonst schmeckt die Kombi metallisch, so wie das silbrige Papier aus der Schokopackung. Daher: Wenn Rotwein, dann gereift, oder eine Rebsorte mit wenig Gerbstoffen wie Pinot Noir. Ich empfehle hier den Basis-Spätburgunder von Martin Waßmer. Mit seinen waldigen Aromen nach feuchtem Laub und Tannennadeln, die von einem Touch Holz und rotbeerigen Früchten begleitet werden, passt er wunderbar zu paniertem Saibling oder in Butter gebratenem Lachs mit Kartoffelstampf. Trotz der Reife ist er immer noch saftig, frisch und lebendig. Der Geschmack ist geprägt von animierender Säure, die für einen feinen Trinkfluss sorgt.“
2015 Müller-Thurgau Qualitätswein trocken, Wilfried Völcker, Pfalz
„An der Volkshochschule Haus Buchenriede am Starnberger See unterrichte ich seit über zehn Jahren. In einem meiner Seminare ging es um gereifte Weine und die Frage, wie sich Basis-Weißweine innerhalb von fünf bis zehn Jahren entwickeln. Der Favoritaller Teilnehmer war der damals neunjährige 2015er Müller-Thurgau aus dem unbekannten kleinen Familienbetrieb Wilfried Völcker in der Pfalz. Der Wein hat damals 4,50 Euro ab Hof gekostet und diente in der Verkostung zunächst nur als Negativbeispiel. Meine Erwartungshaltung ging in die Richtung: einen alten, überreifen Wein zeigen, der alles andere als Trinkvergnügen bereiten wird. Dieser Müller-Thurgau von Völcker zeigte aber eindeutig, dass wir Weinmythen vergessen sollten. Das immer noch würzige, auch an Muskatnuss erinnernde Bouquet mit seinem pflanzlichen Charakter ließ mich sofort an ein Gemüse-Ratatouille denken. Das kann warm oder auch kalt, allein oder mit Kartoffeln oder Reis serviert werden.“
2014 Trollinger Qualitätswein trocken, Aldinger, Württemberg
„Wer einen Weinkeller mit Leidenschaft pflegt, dem passiert es schnell, dass er zu viele Flaschen im Keller liegen hat. Ohne Warenwirtschaftssystem verliert man da oft den Überblick, so wie ich in meinen unterschiedlichen Wohnsitzen. Da entdeckte ich kürzlich einen uralten Trollinger. Ich dachte: Der ist für eine Sauce zu dünn und zum Ausgießen zu schade. Als Schwäbin probierte ich ihn, bevor ich die Entscheidung traf. Und siehe da, er präsentierte sich durchaus noch trinkbar. Er zeigte gereifte Noten, keine frische Frucht, aber dezente tomatige Töne, etwas rote Paprika, leicht rauchig, schlank am Gaumen und die gereifte Säure kam zum guten Schluss auch noch gut rüber. Mein Abendessen dazu war klar: Spaghetti Bolognese. Und aus dem Kühlschrank im großen Burgunderkelch gabs zur Brotzeit mit Speck am nächsten Tag den Rest des Weins. Passt also perfekt zu Pasta mit Tomaten- oder Fleischsauce (Spaghetti oder Pappardelle) oder zur einfachen Brotzeit.“
2018 Muskat Ottonel, Hans Schwarz, Burgenland, Österreich
„Mit solchen Weinen entdeckte ich meine große Liebe zum Wein. Viel Anteil daran hat auch die Familie Triebaumer, deren Weine in meinem Keller immer vorrätig sind. Egal, ob zehn, zwanzig oder fünfzig Jahre alt: Sie sind meine ganz großen Schätze – und immer eine sichere Bank. Bei Hans Schwarz begeisterte mich vor Kurzem der gereifte Muskat Ottonel. Und nach nur sechs Jahren ist dieser Wein immer noch ein Jüngling, mit exotischen Noten von Maracuja, Tropenfrüchten, auch Würze von Muskatnuss. Seine saftig-süßen Honignoten mit floralem, seidigen Nachhall wirken auf mich wie ein feinster gereifter Göttertrunk. Seine jugendliche Spitze hat er mit der Reifezeit abgelegt. Für mich passt er wunderbar zu Kaiserschmarrn mit Aprikosen-, Mirabellen- oder Apfelkompott.“